Stadtπrat

Es ist alles ganz furchtbar.

Demokratische Fraktionen und das Radfahren

14. September 2023 — Stadtπrat

Dass es nicht nur im Rat und in den Ausschüssen dauernd passiert, sondern längst auch auf Bundesebene grassiert *reim*, dass irgendwelche Antragsteller - in Braunschweig ist es gern die BIBS - sich beim Vorstellen ihrer Vorhaben auf den rhetorischen Kniff herablassen, sie hätten hierfür „mit allen demokratischen Fraktionen“ gesprochen, sei mir aus aktuellem Anlass diesen Text wert.

Unter einer demokratischen Fraktion verstehe ich, man verzeihe mir die Unbedarftheit, eine solche, die nicht an der Abschaffung der Demokratie interessiert ist, deren Struktur demokratisch aufgebaut ist und deren wesentliches Interesse dem Wohlergehen möglichst vieler Bürger gilt. Nun möchte keine der im Rat vertretenen Gruppen, nicht einmal die aus oft inhaltlichen, manchmal weniger greifbaren Gründen viel gescholtene AfD, die Demokratie abschaffen, und auch ein diktatorischer Führungsstil ist mir nicht mal aus der CDU bekannt. Es mag unaufmerksame Beobachter unserer Arbeit überraschen, weil Piraten hin, Basis her: die AfD mag im Ratssaal in unserer Nähe sitzen (unsere Idee war das nicht), doch arbeiten wir aus einer Vielzahl an - meist politischen - Gründen nicht zusammen. Dennoch kämen wir niemals auf die Idee, der AfD-Fraktion die Eigenschaft „demokratische Fraktion“ abzusprechen.

Auch wir bekennen uns zur Demokratie, immerhin gehörte die quasi bedingungslose Einwohnerbeteiligung zu den wesentlichen Überschneidungen zwischen unseren Parteiprogrammen zum Zeitpunkt der letzten Kommunalwahl. Klar: Besser geht immer. Damit bleibt als einzige Unterscheidung zwischen „demokratischen Fraktionen“ und „nicht demokratischen Fraktionen“ das aktive Interesse am Wohlergehen möglichst vieler Bürger.

Schauen wir uns das also mal an:

Zur BIBS, die - wie auch die „Fraktion“ (Linke, Volt, PARTEI), was mich angesichts der revolutionären Ansätze von Teilen der Linken auf mehr als nur eine Art erschüttert - das plumpe Gerede von „demokratischen Fraktionen“ im Munde führt, ohne dem eine inhaltliche Begründung folgen zu lassen, mich zu wiederholen ergibt hier wenig Sinn. Rot-Grün wiederum, die zuverlässig sogar den eigenen Anträgen nicht zustimmen, wenn sie sie nicht selbst einbringen, haben offensichtlich nicht das Wohlergehen möglichst vieler Bürger, sondern nur den eigenen Parteienproporz im Sinn. Wen wundert es, dass der Bürger bei des Oberbürgermeisters Herzensprojekt „Konzerthaus“ trotz intensiver Proteste der Opposition nur begrenzt viele Möglichkeiten eingeräumt bekommt, seine Meinung dazu jenseits vorgedruckter Suggestivfragen (Beispiel: nicht ob, sondern wo) hinreichend öffentlich kundzutun?

Da passt es ins Bild, dass die neueste Innovation, die Braunschweiger Mobilitätswende betreffend, ein Logo für das Radfahren ist. Die Infrastruktur ist zwar immer noch bisweilen unübersichtlich, bisweilen gefährlich, aber die Handzettel sind jetzt hübsch. Ist das demokratisch? Für mehr Demokratie in stadtplanerischen Projekten sprechen sich außer uns konsequent auch FDP und CDU aus, deren Selbstverständnis indes bisweilen konservativer ist als das unsere (so halten wir zum Beispiel nicht allzu viel von einer autoreichen Innenstadt - einer unserer wenigen Reibungspunkte), dennoch werden beide Fraktionen als „demokratische Fraktionen“ verstanden und wir nicht. Wer aber den Begriff „demokratisch“ nicht mit inhaltlichen Argumenten unterfüttert, sondern ihn einzig als hohles Geschoss gegen diejenigen verwendet, die ihm aus nicht greifbaren Gründen nicht sympathisch sind, dessen Demokratie ist nicht unsere Demokratie.

In einem gelungenen „FAZ“-Kommentar schrieb Rainer Hank zu Recht, das Gegenteil von Demokratie sei nicht der Populismus, sondern „die Anarchie oder die Aristokratie oder die Monarchie“. Natürlich muss ein Politiker, will er erfolgreich sein, auch die Sprache der Populisten sprechen, mithin dem oft übersehenen einfachen Volk (und damit vielen potenziellen Wählern) seine Solidarität versprechen. Das gelingt Parteien von ganz links bis ganz rechts mitunter recht gut. Der Anteil an zum Populismus fähigen Mandatsträgern im Braunschweiger Stadtrat liegt also, grob überschlagen, bei ungefähr 100 Prozent. Der Anteil an denen, die die Demokratie nicht als Kampfbegriff, sondern als wertvolle Errungenschaft zugunsten der Konsensfindung zwischen möglichst vielen möglichst unterschiedlichen Ideen zur Lösung desselben Problems begreifen, liegt hingegen deutlich niedriger.

Immerhin beruhigend: Selbstgespräche führen diejenigen, die „mit allen demokratischen Fraktionen“ geredet haben wollen, schon mal nicht.

Schlagwörter: demokratie

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